
Es waren einmal zwei Reisende, die von Land zu Land zogen. Sie waren gute Freunde und hatten alles für ihre Abenteuer gepackt. Zu Fuß durchquerten sie Wälder und Städte, durchschritten Meere und erlebten viele neue Orte. Die Reise war lang, und sie fand immer nur dann Nahrung, wenn sie eine neue Stadt erreichte. Einer von ihnen hieß „Goldfinger“ und der andere „Vergeber“. Eines Tages kam es zu einem heftigen Streit zwischen den beiden.
Goldfinger schlug Vergeber ins Gesicht.
Vergeber, sehr traurig, nahm einen Stein und schrieb im Sand: „Mein bester Freund hat mir heute ins Gesicht geschlagen.“
Zwei Tage später überquerten die beiden mit einem kleinen Boot das Meer. Etwa zehn Meter, bis sie an die eine Insel kamen, kam eine große Welle und kippte das Boot um, als Vergeber beinahe ertrank. Goldfinger handelte schnell und rettete ihn. Daraufhin nahm Vergeber einen Stein und schrieb auf einen anderen Stein: „Mein bester Freund hat mir heute das Leben gerettet.“
Goldfinger fragt ihn: „Wieso dieses Mal auf Steine und nicht auf Sand?“
Der Vergeber antwortete ihm: „Schlechte Dinge, die anderen uns antun, sollten wir nicht in die Tiefen unseres Herzens stecken, sondern die Guten. Nur so können wir unsere Mitmenschen trotz ihres Fehlers mögen/lieben.“
Autor: Ulrich Bouwe
Quelle: www.bouwe.de

Das Leben eines guten Baumes 🌳
Es war nichts, nur Luft und Stille. Doch dann erschien ein winziger Same, von der Erde angenommen. Aus diesem Samen wuchs ein zartes Pflänzchen, das Blätter und Blüten hervorbrachte. Mit jedem Tag wurde es größer und schöner.
Der Baum trug Blüten und Früchte, die in der Sonne glänzten. Die Blätter flüsterten Geschichten, und die Früchte versprachen süße Erinnerungen. Der Baum wurde älter und weiser, seine Wurzeln tief in die Erde verankert.
Doch die Zeit verging, und der Baum spürte, dass sein Leben sich dem Ende näherte. Er sprach zu seinen Samen, die längst zu Gräsern geworden waren: „Ich gehe in Frieden, denn ich habe der Erde gedient. Menschen haben meine Früchte gegessen, Vögel haben in meinen Ästen genistet, und ich habe Schatten gespendet. Ich habe schöne Dinge getan.“
Der Baum bat seine Samen, ihm nachzufolgen. „Seid wie ich“, flüsterte er, „damit die Menschen nur Positives von euch sprechen. Lasst eure Wurzeln tief in die Erde wachsen, eure Äste weit in den Himmel strecken und eure Blätter im Wind tanzen. Und wenn ihr geht, lasst neue Samen fallen, damit das Leben weitergeht.“
Und so verabschiedete sich der Baum, umgeben von seinen Nachkommen. Seine Blätter fielen sanft auf den Boden, und die Samen fanden ihren Platz. Der Kreislauf des Lebens setzte sich fort, und der Baum lebte weiter – in den Geschichten, den Erinnerungen und den Herzen derer, die ihn kannten.
Möge sein Vermächtnis weiterleben, wie ein Lied, das im Wind erklingt, und wie ein Same, der auf fruchtbaren Boden fällt.
Autor: Ulrich Bouwe
Quelle: www.bouwe.de

Die unscheinbaren Steine
Im tiefen, moosbewachsenen Wald lebte ein kleiner, unscheinbarer Flussstein namens Kiesel. Er lag am Ufer, umgeben von schimmernden Quarzen und glänzenden Obsidianstücken. Während die anderen Steine elegant und poliert waren, war Kiesel mattgrau, unförmig und oft mit trockenem Schlamm bedeckt.
Er hörte, wie die funkelnden Steine miteinander prahlten.
"Seht, wie das Licht in meinen Facetten tanzt!" rief ein Quarz. "Ich bin so glatt, ich muss für ein Schmuckstück bestimmt sein," flüsterte ein Obsidian.
Kiesel seufzte. Er wünschte sich so sehr, ebenfalls so strahlend zu sein. Er versuchte, sich im klaren Flusswasser zu reinigen, doch blieb er nur ein grauer, gewöhnlicher Stein. "Ich bin nichts Besonderes," dachte er oft. "Ich habe keinen Wert, ich bin einfach nur da."
Eines Tages kam ein alter, weiser Töpfer ans Flussufer. Sorgfältig suchte er die Materialien aus, die er mitnehmen wollte. Die glänzenden Steine begannen, sich in Pose zu werfen, in der Hoffnung, ausgewählt zu werden.
Der Töpfer ging an ihnen vorbei. Er hob keinen der funkelnden Quarze oder Obsidianstücke auf. Stattdessen kniete er sich hin, schob vorsichtig den Schlamm beiseite und nahm den unscheinbaren Kiesel in die Hand.
Die anderen Steine waren empört. "Warum ihn? Er ist so hässlich und farblos!" zischte ein Quarz.
Der Töpfer lächelte milde. "Ihr habt einen schönen Schein, das ist wahr. Aber ihr seid spröde und könnt brechen, wenn ihr großer Hitze ausgesetzt werdet. Ihr seid für die Zierde da, aber nicht für die Arbeit."
Er drehte Kiesel in seiner Hand. "Dieser kleine, graue Stein hier," sagte er leise, "ist nicht nur robust und widerstandsfähig, sondern auch voller kleiner Eisenpartikel und Mineralien, die ich brauche. Wenn ich ihn zermahle und dem Ton beimische, wird er das fertige Gefäß stärken. Er wird es hart und haltbar machen, sodass es Feuer, Wasser und Zeit standhält."
Der Töpfer steckte Kiesel in seinen Beutel und ging.
Kiesel war überwältigt. Er, der sich für so wertlos gehalten hatte, war nicht zur Zierde bestimmt, sondern ein Grundstein für die Stärke! Er musste nicht funkeln, um wichtig zu sein; sein Wert lag in seiner Beständigkeit und der Fähigkeit, andere Dinge besser zu machen.
In der Werkstatt des Töpfers wurde Kiesel zerrieben, mit Ton vermischt und in den Ofen geschickt. Er ging nicht verloren, sondern wurde Teil eines wunderschönen, stabilen Kruges, der viele Jahre lang die Ernte des Töpfers aufbewahrte.
Von da an erkannte Kiesel, dass der wahre Wert nicht immer in dem liegt, was man sofort sieht, sondern in der einzigartigen Stärke, die man besitzt und die man in die Welt einbringt.
Autor: Ulrich Bouwe
Quelle: www.bouwe.de
Erlebt die Natur mit Ulrich